Mürrische Zeitgenosse:innen gehen zum Lachen bekanntlich ins Untergeschoss. Und falls das zufällig in einer großen Wiener Einkaufsstraße liegen sollte, treffen sie dort vielleicht ein Grüppchen sehr gut gelaunter Pflanzenesser:innen beim hemmungslosen Genusseinkauf.
Zumindest hat die von Billa ins Souterrain des Billa-Plus-Markts in der Mariahilfer Straße gepflanzte Fläche, auf der ausschließlich nicht-tierische Lebensmittel verkauft werden, auch ein Jahr nach der Eröffnung eine bleibende Anziehungskraft.
Von draußen wird die Kernzielgruppe per Direktzugang über eine Treppe in Richtung „Marktküche“ gelotst, wo es vorbei an Bowls, Pizza und Lunchtheken rechts und einem klassischen Supermarkt links ganz nach hinten zu einem „Österreichweit einzigartigen Store“ geht, der nicht nur durch seine knallgelb-knallgrüne Farbgebung auffällt, sondern auch wegen seines augenzwinkernd gereimten Namens: Billa Pflanzilla.
Auf der gut 200 Quadratmeter großen Fläche sind eine Bar mit pflanzlichen Salaten, eine Nussmuspresse, eine Bierzapf- und eine Unverpacktstation untergebracht. Die Produkte stehen in einfachen Metallregalen. Theken und Kühlinseln sind schick gitterverkleidet.
Ein Super-Markt für 20- bis 30-Jährige
An der tapezierten Mittelsäule mit Lichtblättermuster an der Decke hängen Chipstüten wie an einer Art Snackpalme. Und die Kasse, an der es das „Brot der Woche“ aus dem Korb gibt, sieht ohnehin eher nach Café-Theke aus und ist aus unbehandeltem Holz gezimmert.
Das Next-Generation-Lebensmittelmärktchen für 20- bis 30-Jährige wurde vor genau einem Jahr, im September 2022, eröffnet und verspricht seitdem allen, die sich rein pflanzlich ernähren, dass sie hier nicht suchen und keine Etiketten studieren müssen – sondern von den 2.500 in den Regalen platzierten Artikeln einfach alles mitnehmen können.
Als Namenspate nennt Billa den Gorilla als stärkstes Tier im Dschungel und reinen Pflanzenfresser, und man muss sagen: In Sachen Auftritt und Inszenierung hat die beauftragte Agentur echt ganze Arbeit geleistet.
Kimchi-Ketchup, Bio-Miso und veganes Kit-Kat
Pflanzilla verspricht „Kein Rumeiern beim Eiweiß“ und „lokale Plant-Based Helden“, an den Regalen steht: „Genuss geht auch anders“; es gibt vegane Backwaren und die große SB-Convenience-Theke ist mit fleischfreien Varianten österreichischer Gerichtklassiker gefüllt, vom (veganen) Schnitzel mit Kartoffelsalat bis zum zwiebeligem „Fleisch“salat, wofür Billa mit den Experimentier-Gastronom:innen von Habibi & Hawara zusammenarbeitet.
(Die in Wien übrigens auch ein sehr empfehlenswertes eigenes Lokal mit fantastischem Mittagstisch-Buffet betreiben!)
Wer auf den Geschmack gekommen ist, kann in der Kochbuchecke Inspiration für künftige Mittagsmahlzeiten erwerben.
Außerdem will Pflanzilla nach Billa-Angaben „vielfältige Inspirationsquelle“ und „wertvolle Bühne“ für junge Produktentwickler:innen sowie Start-ups sein, die einen festen Platz im Regel kriegen (z.B. mit Kimchi-Ketchup von Bio Lutz oder Miso-Paste von Genusskoarl).
Direkt daneben stehen im Zweifel aber die noch ein bisschen auffälliger platzierten Vegan-Varianten bekannter Schokoriegel von Nestlé & Co. Dazu kommt ein ganzer Schwung an Billa-Eigenmarken, die es auch in regulären Supermärkten zu kaufen gibt.
Shop-in-Shop-Trend auf neuem Level
Untermauert wird die Präsenz durch eine von der Handelskette selbst in Auftrag gegebene Umfrage, der zufolge bei den 18- bis 29-Jährigen Österreicher:innen für ihre Ernährung bereits 28 Prozent überwiegend auf Fleisch verzichten. Genau wie britische Supermärkte – und anders als deutsche – verzichtet man in Wien auf die Klassifizierung als „vegan“, und betont stattdessen, auf pflanzenbasierte Lebensmittel zu setzen, um Grundsatz- und Verzichtsdiskussionen aus dem Weg zu gehen.
Und man kann darüber streiten, wie nachhaltig das alles ist: Aber in jedem Fall bringt Billa den Shop-in-Shop-Trend im Supermarkt mit Pflanzilla auf ein neues Level.
Dass sich Händler zur Spezialisierung in bestimmten Produktkategorien Unterstützung auf die Verkaufsfläche holen, hat dabei eine lange Tradition – und ist schon in unterschiedlichster Ausprägung getestet (bzw. wieder verworfen) worden.
Fertig zubereitetes Sushi kommt in vielen Supermärkten aus separaten Sushi-Würfeln, deren Platz Edeka, Rewe & Co. an externe Markenpartner wie Eat Happy vermieten. Ähnlich verfährt der Fast-Casual-Lunchanbieter Dean & David, der eigene Miniläden in Rewe-Märkten eröffnet. (Die Kooperation zwischen Tesco und Pret A Manger in Großbritannien ist hingegen seit 2022 wieder Geschichte.)
Marken-Support für die Sortiments-Spezialisierung
Das Ganze funktioniert auch im Drogeriemarkt, wo z.B. dm an ausgewählten Standorten dem Kosmetikhersteller Nyx erlaubt hat,eigene Shop-in-Shops zu eröffnen, die sich deutlich vom dm-Design abheben (u.a. in Berlin). Rossmann experimentiert (in Göttingen und Paderborn) mit dem „Maybelline NY Square“.
Derweil hat Sainsbury’s – ebenfalls in Großbritannien – zwei bis dahin eigenständige Marken komplett übernommen, um diese nach und nach in die Supermärkte zu integrieren: den Elektronikhändler Argos und den Wohnaccessoires-Händler Habitat. Separate Läden bzw. Showrooms wurden nach und nach vollständig geschlossen. (Sainsbury’s-Mini-Habitats gab es zuletzt aber gerade einmal elf, Stand: 2021; Argos kam auf 300 Shops bzw. Abholtheken bei Sainsbury’s, Stand: 2020 – siehe dazu auch Supermarktblog).
Bei Famila hat Bartels Langness die Türen für den Elektronikpartner Expert geöffnet (ohne Übernahme). Und Mini-Filialen der Migros-Tochter Depot sind bereits auf so mancher Edeka-Verkaufsfläche aufgetaucht.
Fast wie im Fachhandel hier
Eine eher neue Entwicklung ist hingegen, dass die Händler Formatinseln für selbst verantwortete Marken schaffen: In Deutschland ist Edeka dafür derzeit das beste Beispiel. Nachdem sich der Händlerverbund von der Ambition verabschiedet hat, mit seinen Kaufleuten den Fachhandel zu erobern, konzentriert man sich auf den Einbau so genannter „Welten“ in bestehende E-Center und Marktkaufs (siehe Supermarktblog).
Zum einen mit der Bio-Fachhandelsmarke Naturkind, die ihr eigenes Design mitbringt; und zum anderen auf den Drogeriepartner Budni, der mit der „Budni Beautybox“ für „noch mehr Drogerievielfalt im Bereich Pflege & Beauty“ sorgen soll, bislang in den E-Centern Singen, Bad Kreuznach, Ulm (zwei Standorte), Villingen und im Marktkauf Senden.
Ganz ähnlich macht das Rewe mit seiner Tierfutter-Eigenmarke ZooRoyal, die bei Toom-Baumarkt (Leipzig) und in Rewe Centern ebenfalls eine eigene Fläche mit zur Marke passende Gestaltung bekommen hat.
Das ist gar keine so schlechte Idee, um der Kundschaft zu signalisieren, dass sie an Ort und Stelle zumindest fachhandelsvergleichbare Sortimente findet.
Zugespitzt und speziell
Pflanzilla ist quasi die konsequente Weiterentwicklung dieser Ambition – durch die Schaffung einer vollständig neuen Marke, die sich in einem grundlegenden Punkt von den bisherigen unterscheidet: Sie muss nicht maximal kompatibel für möglichst viele Fläche im ganzen Land sein.
Im Gegenteil: Das Billa-Konzept ist so zugespitzt und speziell, dass es aus der Masse explizit hervorsticht und dem Händler bestenfalls nicht nur einen Image-Vorteil verschafft, sondern eben auch dabei hilft, ausprobieren und zu lernen, wie sich jüngere Zielgruppen im stationären Lebensmitteleinzelhandel erreichen lassen: nämlich eben eher nicht mehr mit dem klassischen Supermarkt-für-alle-Ansatz.
Mit Pflanzilla zielt Billa auf eine Kompetenzerweiterung, die – wie sollte es anders sein – freilich nicht allen gleich gut schmeckt.
Während sich im Netz zahlreiche Kund:innen geradezu euphorisch über den Wiener Plant-Based-Minimarkt im Untergeschoss äußern, hagelt es vor allem von Hardcore-Veganer:innen erwartbar Kritik, weil die sich etwa daran stören, dass neben dem Ort, der ihr Supermarkt sein will, auch „Leichenteile“ aus der Metzgertheke verkauft werden.
Der Mainstream ist auch noch da
Baulich gesehen war es in der Tat nur so mittelschlau, die Pflanzenecke direkt neben die reguläre „Marktküche“ zu bauen; aber klar ist ja auch, dass eine landesweit operierende Supermarktkette wie Billa neben ihren Formatexperimenten weiter vor allem den klassischen Mainstream bedienen will.
Und der isst mittags nunmal keine Cashewnuss-soßenbasierte Protein-Mahlzeit mit leichtem Salätchen, sondern: Frikadelle im Brötchen.
Vielleicht nimmt’s die Community dem Handelsriesen aber auch ein bisschen übel, dass er seinen „Concept Store“ wirklich direkt vor die Nase von Wiens einzigem unabhängigen veganen Bio-Supermarkt – Maran Vegan in der Stumpergasse – gesetzt hat. (Vielleicht hilft das dem aber auch, wenn Pflanzenesser:innen ohnehin schon mal in der Gegend sind, um die hippere Supermarkt-Variante auszuhecken.)
Viele kleine Stolpersteine
Ein bisschen schwieriger ist Pflanzilla derweil gegen manch anderen Kritikpunkt zu verteidigen: z.B. den, das Minilädchen sei „fürchterlich geführt“, weil bspw. die Bierabfüllstation über Wochen nicht funktioniert habe, ohne dass das Personal weiterhelfen konnte, weil aus Versehen auch schon mal ein Veggie-Auftstrich mit Ei ins Sortiment gerutscht sei und viele Artikel arg überteuert wären.
Zumindest Letzteres entspricht überprüfbar den Tatsachen: Zahlreiche Lebensmittel auf der Pflanzeninsel sind recht hochpreisig, obwohl vieles schlichte aus dem Billa-Standardsortiment stammt; und ausgerechnet die tendenziell jüngere Zielgruppe muss bereit sein, deutlich tiefer in die Tasche zu greifen, um die Produkte der innovativen Start-ups und Produzent:innen zu erwerben. Nachvollziehbar, aber schwierig.
Bei meinem Besuch war das Pflanzilla-Personal zum Schichtwechsel stark damit ausgelastet, sich beim gegenseitig auf den neusten Stand vergangener Wochenendbeschäftigunen zu bringen, und Kundschaft eher so nebenbei abzufertigen. Aber das kann man auch als Momentaufnahme verbuchen.
Zum Wohlfühlort taugt der Untergeschossmarkt mit der grellen Inszenierung aber so eher nicht.
Wieviel Pflanzilla braucht die Fläche?
Mag sein, dass Pflanzilla für die Rewe-Tochter angesichts der großen medialen und socialmedialen Aufmerksamkeit schon jetzt als Erfolg gilt; wirklich einer wäre es aber vor allem dann, wenn die Handelskette zumindest in Grundzügen daraus ableiten könnte, wie sie die fokussierte Zielgruppe auch an anderen Standorten, möglicherweise sogar außerhalb großer Städte ansprechen und erreichen kann, ohne das Format eins zu eins zu kopieren.
Zum Beispiel mit Pflanzilla-Regalen in regulären Läden, die das Kernversprechen des Shop-in-Shops auch in ländlichere Regionen tragen und sich in Optik und Ansprache grundlegend vom Rest des Markts unterscheiden?
Dass Billa seine Plant-Based-Formatinsel irgendwann still und heimlich wieder abbaut ohne Bescheid zu sagen, wäre aber ebenfalls im Bereich des Möglichen.
Bis dahin leuchtet das Experiment weiterhin als knallgelb-grünes Zeugnis der Experimentierbereitschaft, zu dem man auch den übrigen Lebensmitteleinzelhandel ermutigen muss, um die eigene Zielgruppenansprache zu variieren und Kompetenz in Sortimenten zu stärken, die sonst klassischerweise Fachhändlern vorbehalten bliebe: Mehr Mut zur Formatvariation! Damit das Pflanzilla nicht das letzte seiner Art bleibt.
Mehr aus dem Österreich-Special:
- Ein Regio-Supermarkt zum Bestellen und Bummeln? Markta macht das schon
- Instacart auf Österreichisch: Hofer, Roksh und der Online-Diskont-Einkauf mit „Personal Shopper“
- „Billa Bio“ und die Doppelmarken-Strategie für Bio-Zielgruppen im Supermarkt
- Flagship Stores und Winkellädchen: Billa, Spar und das Austria-Paradoxon
- Was sich deutsche Super- und Drogeriemärkte aus Österreich abgucken können (1)
Anzeige
umdasch
Der Ladenbau eines Stores hat Einfluss auf viele Faktoren. Er ermöglicht eine attraktive Produktpräsentation, optimiert den Kundenfluss durch den Laden, unterstützt die Bedürfnisse der Mitarbeiter*innen und verstärkt die Markenidentität.
Er sorgt für ein positives Einkaufserlebnis und lässt eine Marke langfristig in Erinnerung bleiben.
Um Märkte zu echten Shopping-Erlebniswelten zu machen, sind außer dem Design aber zunehmend auch Aspekte wie Flexibilität, Nachhaltigkeit und Technologie wichtig. Von smarten Backmöbeln über leicht umbaubare Regalsysteme bis zum modernen Self-Checkout: Hier gibt’s aktuelle Beispiele für einen rundum gelungenen Ladenbau.
Anzeige
Wolt
Was haben der Weinhändler aus München, die Kaffeerösterei aus Helsinki und die Bäckerin aus Bratislava miteinander gemeinsam? Sie bringen ihren Kund:innen das, was sie jetzt gerade benötigen, direkt an die Haustür. Mit einem kleinen bisschen Hilfe der freundlichen Kurierfahrer:innen von Wolt.
Seit dem Frühjahr ist der finnische Alleslieferant auch in Österreich aktiv: Wiener Händler:innen profitieren als erste von einer Partnerschaft. Das sorgt für zufriedene Kund:innen – und steigende Umsätze. Sind Sie schon dabei?
4 gute Gründe für österreichische Händler, mit Wolt neue Kund:innen zu gewinnen: