Regional statt Regal: Marktzeit und die Ribisel vom Roboter

Regional statt Regal: Marktzeit und die Ribisel vom Roboter

Inhalt:

Nicht mehr durch endlose Supermarkt-Regalreihen laufen, sondern frische Lebensmittel regionaler Lieferpartner von Robo-Assistent Marty ausgehändigt kriegen? Das klappt bei Marktzeit in Wien schon erstaunlich gut. Trotz Sofort-Sachertorte wird es der Neuling aber schwer gegen die Konkurrenz haben.

Austria
Das Supermarktblog Österreich Special wird präsentiert von:

umdasch The Store Makers

Spätabends noch schnell Brot, Käse und Milch für den nächsten Morgen besorgen oder lieber ein schnelles Abendessen für jetzt gleich? In Wien ist das trotz eingeschränkter Ladenöffnungszeiten kein Problem mehr – zumindest für die Anwohner:innen des futuristisch anmutenden „The One Tower“ im 3. Wiener Gemeindebezirk.

Dort ist im Mai 2024 der Mini-Supermarkt Marktzeit ins Erdgeschoss eingezogen und hat seitdem rund um die Uhr geöffnet. Weil es den einzigen Mitarbeiter nicht stört, wenn er nach einem kompletten Arbeitstag auch noch die Nachtschicht schieben soll.

(Also: zumindest, so lange bis er dafür kein eigenständiges Bewusstsein entwickelt.)

Self-Checkout im LEH: Mehr Effizienz, Kundenzufriedenheit und neue Chancen für den Point-of-Sale

Maximaler Nutzen, minimaler Wartungs- und Kostenaufwand: Mit der Self-Checkout-Lösung matrix von umdasch The Store Makers und der Software von shopreme funktioniert Self-Checkout so einfach und problemlos, wie Händler*innen und Kund*innen sich das wünschen.

Ganz schön große Klappe(n)

Auf den ersten Blick wirkt der Laden ungewöhnlich steril. Klassische Regale gibt’s keine, sondern bloß: Pfandautomat, Kaffeemaschine und zwei Ausgabeklappen mit riesigen Touchscreens, auf denen sich durch das virtuelle Sortiment navigieren lässt. Per Abkürzung geht es zu „Specials & Highlights“, den „Local Heroes“ oder direkt in die klassischen Produktkategorien: Kühlwaren, Vorratskammer, Snacks, Getränke. Anschließend heißt es: warten, während der für die Kundschaft (leider) unsichtbare Roboter Marty im Hintergrund den Einkauf zusammenstellt. Und einen mittels Kurzbotschaften auf dem Bildschirm bei Laune hält („Your purchase is in the best hands“), um anzusagen, wie weit er schon gekommen ist: „1 of 3 items ready. We’ll continue in a moment.“

Marktzeit im 3. Wiener Gemeindebezirk: „Immer offen, immer nah, immer gut, immer für dich da“; Foto: Smb

Wegen der gesetzlichen Vorschriften muss Marktzeit natürlich auch den Jugendschutz ernst nehmen: Für den Kauf von alkoholischen Getränken ist ein vorheriger Scan des Ausweises erforderlich.

Anschließend öffnet sich eine schwarze Klappe, in die der Einkauf ansprechend angeleuchtete zur Entnahme hineinrepliziert wurde.

Bei meinem Test im Juli hat das gut funktioniert: Der Einkauf lief reibungslos und die ausschließlich bargeldlose Bezahlung am Terminal – ohne Registriernotwendigkeit — war supereinfach. (Wobei Marty mit meiner überschaubaren To-Go-Auswahl auch nicht allzuviel zu tun hatte; bei größeren Einkäufen dürfte im Zweifel eine mehrmalige Klappenöffnung notwendig sein).

Burger, Tascherl, Sachertorte

Dazu stand ein kleines, aber durchaus ansprechendes Sortiment zur Verfügung, wie es in regulären Supermärkten so eher nicht zu finden ist: Standard-Lebensmittel in Bio-Qualität zusammen mit Kärntner Bio-Kasnudeln, Grünkern-Gemüse-Burger-Laibchen, Schweinekoteletts natur, Spinat-Schafskäse-Tascherl vom regionalen Bio-Bäcker – und sogar ganze Sachertorten. Dazu Artikel aus den Kategorien „Ready to Eat“ und „Ready to Heat“ für alle, die keine Zeit oder Lust zum Kochen haben.

Die beiden Gründer:innen Johannes und Laura Trautschnig wollen bei Marktzeit vor allem mit regionalen Herstellern und Erzeugern zusammenarbeiten, um „qualitativ hochwertige, regionale und nachhaltige Produkte“ möglichst einfach zugänglich zu machen: „Immer offen, immer nah, immer gut, immer für dich da“, steht draußen im Fenster.

Dazu gehört außer der Rund-um-die-Uhr-Öffnung, dass sich Lebensmittel auch über die Liefer-App von Foodora bestellen lassen, deren Fahrer:innen diese dann von Marty zur Auslieferung überreicht kriegen. Wer lieber online vorbestellt und selbst abholt, soll das demnächst auch über die Marktzeit-Website erledigen können.

Marty patzt beim Frische-Check

Gleichzeitig bringt das Format aber auch einige Nachteile mit sich:

  • Die Bequemlichkeit kostet: Viele Preise gleichen – selbst für österreichische Verhältnisse – eher denen im Späti bzw. im Feinkostladen.
  • Bei meinem Besuch waren viele Artikel als „Back soon“ gekennzeichnet, also nicht mehr vorrätig. Anscheinend ist selbst Marty manchmal überfordert mit der Lagerhaltung.
  • Und von den noch im Sommer draußen per Aufsteller annoncierten Vielfalt bei Bio-Backwaren, frischem Obst und Gemüse ist schon wenige Monate nach der Gründung nicht mehr viel übrig geblieben. Im Frische-Sortiment gibt es Basisartikel wie Butter, Milch und Eier – aber ohne größere Auswahl; dazu drei Käsesorten, vier Joghurtvarianten, vier Brote. Obst und Gemüse beschränkten sich zuletzt auf: Äpfel, Zwiebeln, Knoblauch und Kartoffeln.

Eine sinnvolle Qualitätskontrolle der ausgegebenen Ware kann Marty (bislang) offensichtlich ebenso wenig leisten. (Wobei solche Ware auch in normalen Supermärkten regelmäßig weiter zu finden ist.) Der von mir ausgewählte Griechische Salat war wegen des nahenden Mindesthaltbarkeitsdatums auf 3,98 Euro herabgesetzt, sollte laut Touchscreen-Angabe noch am selben Tag verzehrt werden, stellte sich aber bereits als komplett welk heraus.

Das dazugehörige Dressing, das in einer separaten Schale im Ausgabeschacht landete, war bereits verdorben. Das automatisch dazu bestellte (und bezahlte) Einwegbesteck fehlte ersatzlos – nicht so praktisch.

Unkomplizierte Reklamation per Mail

Immerhin: Nach einer Reklamation per E-Mail gab’s von Marktzeit nicht nur eine schnelle Entschuldigung mit dem Versprechen einer Rückerstattung des Betrags, der unkompliziert auf die eingesetzte Kreditkarte zurückgebucht wurde. Sondern auch die Zusage, dass man die Reklamation an den herstellenden Bäckerei-Partner weiterleiten werde:

„Das MHD des Joghurt Dressings werden wir voraussichtlich kürzen, da sich die Konsistenz gegen Ende des empfohlenen MHD´s des Bäcker ändert. (…) Vielen Dank für Ihr Feedback! So ist es uns möglich Verbesserungen vorzunehmen.“

Der Supermarkt-Robo und sein Team aus Fleisch und Blut lernen also erfreulicherweise dazu.

Freilich lässt sich aus dieser Erfahrung noch eine andere Erkenntnis speisen: dass Convenience-Mahlzeiten nämlich nicht automatisch gut sein müssen, bloß weil sie regional und Bio sind. Der Salat vom Bio-Vollwertbäcker Gratewohl ist mit einem regulären Preis von 5,69 Euro mit seinen paar Blättern und einer Miniportion Schafskäsewürfel auch an jeder anderen Verkaufsstelle eine Margen-schindende Unverschämtheit.

Eine Chance für Unabhängige?

Egal. Das eigentlich Interessante ist, dass Marktzeit dank seines personalfreien Konzepts als unabhängiger Anbieter in einen Markt vorstößt, der sonst von den großen Ketten dominiert wird. Warum sollte man alleine denen die Innovation im Lebensmitteleinzelhandel überlassen?

Auch in Deutschland wird mit ähnlichen Konzepten experimentiert:

  • Edeka testet unter dem Namen E24/7 Robotik-Märkte an verschiedenen Standorten, darunter am Bahnhof Renningen, auf dem Werksgelände von Merck in Darmstadt und in Offenburg. Die Technologie dafür kommt vom Stuttgarter Start-up Smark.
  • Die Rewe-Tochter Lekkerland versucht sich in Rostock mit „Rewe Ready“ an einem Smart Store, der Einkäufe per Förderband aus dem abgeschlossenen Lagerbereich zur Kundschaft ruckelt.
  • In Oldenburg wollte Combi Innenstadt-Kund:innen nach Ladenschluss des regulären Markts über einen 24/7-Automaten mit über 500 Artikeln im Sortiment versorgen. Derzeit ist dieser Service jedoch als „vorübergehend geschlossen“ gekennzeichnet.

Und das Start-up hinter dem vollautomatisierten Robotik-Supermarkt Typy, der 2021 mit großem Medienecho im Düsseldorfer Medienhafen eröffnete, wollte einst mit zahlreichen Märkten in andere Städte expandieren. Daraus wurde nichts: der einzige Laden ist längst wieder geschlossen.

Harte Konkurrenz um die Ecke

Heimat von Markzeit: Der The-One-Tower in Wien; Foto: Smb

So begrüßenswert es wäre, wenn sich durch die neue Technologie Formate entwickeln ließen, deren Angebot exakt auf spezielle Zielgruppen zugeschnitten sind oder einen besonderen Schwerpunkt im Sortiment setzen könnten: Dass sie sich auch tatsächlich gewinnbringend betreiben lassen, ist bislang noch nicht bewiesen.

Das dürfte auch Marktzeit in Wien schwer fallen: Wer plant, dort seinen Wocheneinkauf zu erledigen, wird angesichts des überschaubaren Sortiments enttäuscht. Dafür ist Marktzeit zwar ohnehin nicht gemacht, sondern eher für Ergänzungs- und Späteinkäufe. Dass sich die Gründer:innen einen Standort ausgesucht haben, an dem in unmittelbarer Nähe auch Spar, Billa und Hofer große Filialen betreiben, dürfte dass Unterfangen jedoch noch schwieriger gestalten.

Und alleine in der Nische der Feierabend- und Sonntagsversorgung wird es vermutlich schwer, die notwendigen Umsätze zu generieren – selbst wenn, wie bei meinem Besuch, The-One-Tower-Anwohner:innen während des Telefonierens regelmäßig ihre Schaumweinvorräte aufstocken.

Zum Impulskauf verführt

Marktzeit betritt mit seinem Roboter-Konzept zweifellos Neuland im österreichischen Einzelhandel und macht mit seinem Regio-Konzept, Online-Bestellmöglichkeit und Abholgelegenheit von vornherein auch einiges richtig. Aber das dürfte auf Dauer nicht genügen, um eine ausreichend große Stammkundschaft aufzubauen.

Vielleicht ginge das ja, indem Marty nicht nur der Schnelleinkauf antrainiert würde, sondern auch der parallele Small Talk mit der auf die Ausgabe wartenden Kundschaft? „Guten Abend, gnädiger Herr! Darf’s heute wieder die übliche Packung Taschentücher und Schokolade sein? Ach, und Sie sehen müde aus – wie wäre es mit einem Energy Drink dazu?“

Bis es soweit ist, ist dem kleinen Roboter-Laden sehr zu wünschen, dass er noch eine Weile durchhält, um seine Form zu finden. Denn wer kann sonst schon von sich behaupten, mitten in der Nacht von einem Roboter charmant zum Impulskauf verführt worden zu sein?

Alle Texte aus dem Supermarktblog Österreich Special 2024 ansehen.

Kommentieren

Datenschutzhinweis: Mit der Nutzung dieses Formulars erklären Sie sich mit der Speicherung und Verarbeitung Ihrer Daten durch diese Website einverstanden. Eine Freischaltung erfolgt nur unter Angabe einer validen E-Mail-Adresse (die nicht veröffentlicht wird). Mehr Informationen.

Blog-Unterstützer:innen können sich über Steady einloggen, um Support-Hinweise und Werbung im Text auszublenden:

Archiv